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Neue Studie: Qualitätsjournalismus in Deutschland

(jm)
Aktuelle Studie zum Qualitätsjournalismus in Deutschland:
Verlage nutzen Wirtschaftskrise für Redaktionsumbau –  redaktionelle Arbeitsverdichtung birgt Gefahren für journalistische Qualität

Seit Jahren leiden Zeitungen und Zeitschriften unter stark rückläufigen Auflagen und Werbeeinnahmen. Insbesondere junge Lesergruppen – und mit ihnen die Anzeigenkunden – wenden sich von den Printmedien ab. Vor diesem Hintergrund haben viele Verlage die Wirtschaftskrise genutzt, um weitreichende strategische Maßnahmen zu ergreifen: Anzeigen-, Vertriebs- und Herstellungsabteilungen wurden zentralisiert oder ausgelagert. Entscheidender noch: die betriebswirtschaftlichen Maßnahmen haben die Struktur vieler Redaktionen erfasst.

Wie diese neuen Redaktionsformen aussehen und welche Auswirkungen sie auf die journalistische Qualität haben, wurde nun in einer umfangreichen Studie untersucht. Das Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin führte diese im Auftrag des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes mit finanziellen Mitteln seiner Vorgängerorganisation durch.

Ergebnisse

Drei Trends stellt die Studie heraus: Auslagerungen, Redaktionsfusionen und Redaktionskooperationen sind die zentralen Maßnahmen, durch die Verlage ihre Redaktionen in der Wirtschaftskrise umgebaut haben. Zudem die Erkenntnis, dass es der Branche bislang nicht gelungen ist, ein funktionierendes Geschäftsmodell für Qualitätsjournalismus im Internet zu etablieren.

Beim Outsourcing umgehen Verlage die Tarifbindung, indem sie Teile der Redaktion als selbstständiges Tochterunternehmen auslagern. Redaktionszusammenlegungen, wie bei der Fusion dreier Regionalzeitungen der WAZ und bei den Gruner+Jahr-Wirtschaftsmedien, sollen Kosten sparen, indem die Arbeit auf weniger Köpfe verteilt wird. Artikelsyndizierung und Autorenpools bieten bei der Welt-Gruppe der Axel Springer AG und beim Berliner Verlag/M. DuMont Schauberg neue Möglichkeiten des Austauschs und der Mehrfachverwertung von Artikeln.

Mit diesen Maßnahmen werden zunächst zwar einzelne Titel, Standorte und die lokale Vielfalt gesichert. In der Folge aber dürfte die nationale Vielfalt der Berichterstattung abnehmen, während Agenturabhängigkeit und Selbstreferentialität der Medien zunehmen. Die Verdichtung redaktioneller Arbeit könnte systematisch zu Lasten journalistischer Qualitätsroutinen und Recherche gehen.

Studiendesign

Die Studie des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft rekonstruiert die Branchenstrategien der letzten zwei Jahre. Dabei wurden zwei Fälle genauer empirisch untersucht: die Gruner+Jahr-Wirtschaftsmedien sowie der Berliner Verlag/M. DuMont Schauberg. Hierzu führte man zehn Experteninterviews mit führenden Medienmanagern der beiden Verlagshäuser und ihrer Wettbewerber durch. Zur Beurteilung der publizistischen Auswirkungen erfolgten zehn Interviews mit professionellen Mediennutzern und PR-Managern.

Expertenbewertung

Die Verlagsmanager rechneten aufgrund der schlechten Lage der deutschen Presse mit einer weiteren Marktkonzentration. Als Mittel des Kostenmanagements bewerteten sie die geschilderten Strategien insgesamt positiv. Bedenken äußerten sie hinsichtlich der journalistischen Herausforderung, künftig unterschiedlichen Profilen stilistisch gerecht zu werden.

Professionelle Leser, die als PR-Manager Printmedien beruflich nutzen, zeigten Verständnis für die Probleme der Pressekrise und die Maßnahmen der Verlage. Befürchtet wird aber, dass sich die ökonomischen Zwänge mittelfristig negativ auf die journalistische Qualität auswirken. Bereits heute wird eine zu starke Orientierung an vordergründiger Aktualität und vermeintlicher Exklusivität moniert, die zu Lasten gründlicher Recherche und Themenaufbereitung gehe. Wichtig sei, dass auch in Zukunft die Einzelprofile der Blätter erkennbar bleiben – und kein »Einheitsbrei« serviert wird. (Quelle: DFJV)

Die komplette Studie können Sie hier als PDF-Download abrufen.

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Lokaljournalismus mit 5000 Meilen Luftlinie

(jm)

MumbaiStellen Sie sich einmal vor, Sie sitzen morgens am Frühstückstisch – und Ihre gewohnte lokale oder regionale Tageszeitung präsentiert sich irgendwie anders als sonst: Im Regionalteil lesen Sie statt der gewohnten »Ortsmarke« Ihres Heimatortes, einer nahegelegenen Großstadt (oder überhaupt einer deutschen Stadt) überall als Ortsmarke »Mumbai«, »Bangalore« und »Delhi«. Sie werden stutzig und unruhig, obwohl: Nach wie vor enthält Ihre örtliche Tageszeitung lokale und regionale Nachrichten. Sie entspannen sich wieder. Vielleicht war das ja nur ein einmaliges Versehen, ein schlechter Scherz. Dennoch: Irgendwie werden Sie das komische Gefühl nicht los, als kenne sich der Redakteur mit den örtlichen Befindlichkeiten und Stimmungslagen neuerdings nicht besonders gut aus. – Sie beschließen, der Sache nachzugehen.

Sie greifen zum Telefonhörer und rufen in der Redaktion an. Ihr Gesprächspartner erklärt Ihnen, ja, das stimme, die Lokalredaktion bestehe ab sofort aus Kostengründen überwiegend aus indischen Journalisten, die ausschließlich via Internet und eMail arbeiteten. Sie erfahren weiter: Ja, Interviews mit lokalen Größen führe man nun von Indien aus per Webcam, und die Videos lokaler Ratssitzungen schicke man zur journalistischen Auswertung extra an einen indischen Journalisten, der selber persönlich ein paar Jahre in Deutschland gelebt habe – und sogar schon mal zwei Tage in Ihrer Heimatstadt verbracht habe. »Ein Glücksfall bei der Personalbesetzung!« jubelt Ihnen die Stimme am anderen Ende der Leitung in den Hörer. – Und irgendwie gelingt es Ihnen nicht, sich mitzufreuen.

Was für deutsche Ohren wie Utopie klingt, befindet sich im amerikanischen Lokaljournalismus seit Jahren in kleinen »Testlaboren«: Beispielsweise übertrug der amerikanische Ex-Textilproduzent James Macpherson mit seiner »Online-Lokalzeitung« „Pasadena Now“ schon kurzerhand die kostenrechnerischen Gepflogenheiten der Textilindustrie auf ein lokaljournalistisches Internetangebot – und lässt die amerikanische »Lokalzeitung« „Pasadena Now“ mittels eines virtuellen Netzwerks indischer Journalisten fast komplett in Indien verfertigen. Das Magazin für politische Kultur »Cicero« berichtete bereits in seiner Februar-Ausgabe; weitere Artikel zum Thema finden Sie beispielsweise beim Kölner Stadt-Anzeiger, beim Deutschlandradio und bei Sebastian Moll.

Natürlich mag ein solches Geschäftsmodell attraktiv erscheinen für einen »Verleger« und  »Chefredakteur« wie Macpherson, der früher als Textilproduzent beruflich in Vietnam nähen ließ. Oder auch für den einen oder anderen deutschen Verlagsmanager mit Söldnermentalität, dem jene »Liebe zum Zeitungmachen« abgeht, von der die Verlegergeneration nach dem zweiten Weltkrieg noch erfüllt war. Wer weiß: Vielleicht hätte ja das eine oder andere entlassungsfreudige Medienhaus ein solches »Geschäftsmodell« bereits mit Kusshand implementiert, wenn es einen größeren Rekrutierungsmarkt deutschsprachiger Inder gäbe? Oder stellen wir die Frage anders: Vielleicht bringen deutsche Zeitungsverleger in Kürze interkulturelle Projekte an den Start, mit denen nicht länger nur Schülerinnen und Schüler deutscher Schulen verstärkt an deutschsprachige Tageszeitungen herangeführt werden sollen, sondern auch Schülerinnen und Schüler indischer Schulen, die dann ein Jahrzehnt später – von Mumbai oder Delhi aus  – mit 5000 Meilen Luftlinie »deutschen Lokaljournalismus« zum Textilindustrietarif betreiben könnten? Wie gesagt: Wer weiß.

Der springende Punkt ist jedoch: Was dem deutschen Verlagsmanager aus der isolierten Bilanz- und Kostenperspektive sinnvoll erscheinen mag, macht aus der Wissensperspektive betrachtet noch lange keinen Sinn. Übersehen werden beispielsweise die immateriellen Erfolgspotenziale, die im individuellen, unwiederbringlich verlorenen Beziehungskapital des einzelnen Wissensträgers liegen, oder in den verloren gegangenen individuellen Zugängen zur Domäne des Kundenwissens. Entlassungen von wichtigen Wissensträgern – wie Redakteuren – aus reinen Kosten- und Renditeüberlegungen beflügeln den Gewinn nicht anders als ein Doping- oder Aufputschmittel: Ein kurzer Höhenflug – gefolgt von einem nachhaltigen Absturz …

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