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Wissen, was die Behörden wissen: Gesetzesinitiative für ein umfassendes neues Bürgerinformationsgesetz

(jm)

(netzwerk recherche) Für einen leichteren Zugang zu Behördeninformationen haben die Umweltorganisation Greenpeace, der Journalistenverband netzwerk recherche und die Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit heute in Berlin ihren gemeinsamen Entwurf für ein neues Bürgerinformationsgesetz vorgestellt. Der Gesetzesvorschlag wird anschließend dem Bundesjustizministerium übergeben. Er bündelt die schon bestehenden Regelungen nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG), dem Umweltinformationsgesetz (UIG) und dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) und hebt sie auf ein bürgerfreundliches Niveau: Der Gesetzesvorschlag sieht enge Antwortfristen, niedrige Gebühren und eine aktive Informationspflicht für Behörden vor. Zudem würden Restaurants und Lebensmittelgeschäfte zum Aushang der Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen verpflichtet.

„Unsere Gesetzesinitiative ist ein Akt zivilgesellschaftlicher Notwehr“, sagt Dr. Manfred Redelfs von Greenpeace. „Bürger werden mit ihren Anfragen von den Behörden viel zu oft als Störenfriede wahrgenommen und mit komplizierten Auskunftsregeln auf Distanz gehalten. Wenn Verwaltung und Politik keine guten Transparenzgesetze auf den Weg bringen, müssen wir es selber tun.“

„Auch Journalisten beißen bei den Behörden immer wieder auf Granit. Die Verwaltung präsentiert sich als verschlossene Auster. Wenn schon Journalisten abgeblockt werden, wie schwierig ist es dann erst für Bürger, Auskünfte zu erhalten?“ gibt Markus Grill von netzwerk recherche zu bedenken.

Sven Berger von der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit sieht ein einheitliches Gesetz als wichtigen Schritt zu mehr Bürgerbeteiligung: „Das Informationsrecht in Deutschland ist ein Flickenteppich. Wer informierte Bürger will, muss ihnen auch einfache Möglichkeiten einräumen, an Informationen zu gelangen.“

Das Verbraucherinformationsgesetz steht im kommenden Jahr zur Novellierung an, so dass die Vorschläge für ein Bürgerinformationsgesetz unmittelbar aufgegriffen werden könnten. Nach Auskunft der Initiatoren hat auch das Informationsfreiheitsgesetz, das zum 1. Januar fünf Jahre alt wird, bisher keinen Durchbruch für mehr Behördentransparenz gebracht.

Momentan bestehen in Deutschland 29 verschiedene Gesetze zur Informationsfreiheit: nämlich allein auf Bundesebene das Informationsfreiheitsgesetz, das Umweltinformationsgesetz und das Verbraucherinformationsgesetz. Hinzu kommen auf Länderebene weitere 11 Informationsfreiheitsgesetze, die inhaltlich teilweise deutlich voneinander abweichen, sowie 15 weitere Landes-Umweltinformationsgesetze. Von einer bürgerfreundlichen einheitlichen Gesetzesgrundlage könnte damit gerade auch der lokale und regionale Bürgerjournalismus deutlich profitieren.

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Lokaljournalismus mit 5000 Meilen Luftlinie

(jm)

MumbaiStellen Sie sich einmal vor, Sie sitzen morgens am Frühstückstisch – und Ihre gewohnte lokale oder regionale Tageszeitung präsentiert sich irgendwie anders als sonst: Im Regionalteil lesen Sie statt der gewohnten »Ortsmarke« Ihres Heimatortes, einer nahegelegenen Großstadt (oder überhaupt einer deutschen Stadt) überall als Ortsmarke »Mumbai«, »Bangalore« und »Delhi«. Sie werden stutzig und unruhig, obwohl: Nach wie vor enthält Ihre örtliche Tageszeitung lokale und regionale Nachrichten. Sie entspannen sich wieder. Vielleicht war das ja nur ein einmaliges Versehen, ein schlechter Scherz. Dennoch: Irgendwie werden Sie das komische Gefühl nicht los, als kenne sich der Redakteur mit den örtlichen Befindlichkeiten und Stimmungslagen neuerdings nicht besonders gut aus. – Sie beschließen, der Sache nachzugehen.

Sie greifen zum Telefonhörer und rufen in der Redaktion an. Ihr Gesprächspartner erklärt Ihnen, ja, das stimme, die Lokalredaktion bestehe ab sofort aus Kostengründen überwiegend aus indischen Journalisten, die ausschließlich via Internet und eMail arbeiteten. Sie erfahren weiter: Ja, Interviews mit lokalen Größen führe man nun von Indien aus per Webcam, und die Videos lokaler Ratssitzungen schicke man zur journalistischen Auswertung extra an einen indischen Journalisten, der selber persönlich ein paar Jahre in Deutschland gelebt habe – und sogar schon mal zwei Tage in Ihrer Heimatstadt verbracht habe. »Ein Glücksfall bei der Personalbesetzung!« jubelt Ihnen die Stimme am anderen Ende der Leitung in den Hörer. – Und irgendwie gelingt es Ihnen nicht, sich mitzufreuen.

Was für deutsche Ohren wie Utopie klingt, befindet sich im amerikanischen Lokaljournalismus seit Jahren in kleinen »Testlaboren«: Beispielsweise übertrug der amerikanische Ex-Textilproduzent James Macpherson mit seiner »Online-Lokalzeitung« „Pasadena Now“ schon kurzerhand die kostenrechnerischen Gepflogenheiten der Textilindustrie auf ein lokaljournalistisches Internetangebot – und lässt die amerikanische »Lokalzeitung« „Pasadena Now“ mittels eines virtuellen Netzwerks indischer Journalisten fast komplett in Indien verfertigen. Das Magazin für politische Kultur »Cicero« berichtete bereits in seiner Februar-Ausgabe; weitere Artikel zum Thema finden Sie beispielsweise beim Kölner Stadt-Anzeiger, beim Deutschlandradio und bei Sebastian Moll.

Natürlich mag ein solches Geschäftsmodell attraktiv erscheinen für einen »Verleger« und  »Chefredakteur« wie Macpherson, der früher als Textilproduzent beruflich in Vietnam nähen ließ. Oder auch für den einen oder anderen deutschen Verlagsmanager mit Söldnermentalität, dem jene »Liebe zum Zeitungmachen« abgeht, von der die Verlegergeneration nach dem zweiten Weltkrieg noch erfüllt war. Wer weiß: Vielleicht hätte ja das eine oder andere entlassungsfreudige Medienhaus ein solches »Geschäftsmodell« bereits mit Kusshand implementiert, wenn es einen größeren Rekrutierungsmarkt deutschsprachiger Inder gäbe? Oder stellen wir die Frage anders: Vielleicht bringen deutsche Zeitungsverleger in Kürze interkulturelle Projekte an den Start, mit denen nicht länger nur Schülerinnen und Schüler deutscher Schulen verstärkt an deutschsprachige Tageszeitungen herangeführt werden sollen, sondern auch Schülerinnen und Schüler indischer Schulen, die dann ein Jahrzehnt später – von Mumbai oder Delhi aus  – mit 5000 Meilen Luftlinie »deutschen Lokaljournalismus« zum Textilindustrietarif betreiben könnten? Wie gesagt: Wer weiß.

Der springende Punkt ist jedoch: Was dem deutschen Verlagsmanager aus der isolierten Bilanz- und Kostenperspektive sinnvoll erscheinen mag, macht aus der Wissensperspektive betrachtet noch lange keinen Sinn. Übersehen werden beispielsweise die immateriellen Erfolgspotenziale, die im individuellen, unwiederbringlich verlorenen Beziehungskapital des einzelnen Wissensträgers liegen, oder in den verloren gegangenen individuellen Zugängen zur Domäne des Kundenwissens. Entlassungen von wichtigen Wissensträgern – wie Redakteuren – aus reinen Kosten- und Renditeüberlegungen beflügeln den Gewinn nicht anders als ein Doping- oder Aufputschmittel: Ein kurzer Höhenflug – gefolgt von einem nachhaltigen Absturz …

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