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»Verschlossene Auster« in Hamburg an den »Informationsblockierer des Jahres« vergeben

(jm)
Der Negativpreis »Verschlossene Auster« der Journalistenvereinigung netzwerk recherche e.V., seit 2002 jährlich vergeben für den hartnäckigsten »Informationsblockierer des Jahres«, geht in diesem Jahr an die Katholische Kirche. Die Journalistenvereinigung verlieh die austernförmige Schieferskulptur auf ihrer aktuellen Jahrestagung in Hamburg stellvertretend an die Deutsche Bischofskonferenz. Die Katholische Kirche respektiere den Anspruch der Öffentlichkeit auf vollständige Informationen nicht, und sie widerspreche damit eigenen Wertepostulaten wie Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit, erklärte die Jury.

Der Vorsitzende von netzwerk recherche, Dr. Thomas Leif, erklärte sinngemäß, die Katholische Kirche habe nur selten Bereitschaft zur Aufklärung gezeigt und stattdessen Journalisten bei ihren Recherchen behindert, nicht zuletzt auch mit rechtlichen Mitteln wie Abmahnungen und Unterlassungserklärungen.

Matthias Kopp, der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, erklärte, die Katholische Kirche wolle sich der Kritik stellen. Die Kirche habe in ihrer Kommunikationsarbeit durchaus nicht alles richtig gemacht, und man habe sich zu lange schützend vor die Täter in den eigenen Reihen gestellt.

Die vollständige Presseerklärung finden Sie hier.

Die bisherigen »Austern-Preisträger« im Rückblick:

2009: Bundesverband deutscher Banken (BdB)

2008: Internationales Olympisches Komitee

2007: Wladimir Putin

2006: Hartmut Mehdorn, Deutsche Bahn AG

2005: Gerhard Mayer-Vorfelder (DFB)

2004: HypoVereinsbank

2003: ALDI-Konzern

2002: Otto Schily, Bundesinnenminister

Mein Zitat des Tages

»Der Reifegrad einer Gemeinschaft zeigt sich darin, wie sie mit Fehltritten in den eigenen Reihen fertig wird.«

(Gottfried Edel, deutscher Philosoph, *1929)

Persönliche Anmerkung

»Der Reifegrad einer Gemeinschaft zeigt sich darin, wie sie mit Fehltritten in den eigenen Reihen fertig wird«; dieser Satz hat umfassendere Bedeutung für Wissenskonstruktion und Wissensmanagement des einzelnen wie der ganzen Gesellschaft, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Seine universale Bedeutung erstreckt sich nicht nur auf Glaubensgemeinschaften, sondern auch auf sämtliche »Medienakteure« in ihrem weitesten Bezugsrahmen – und damit auch auf ihre sämtlichen »Projekte« und »Innovationen«.

Natürlich, wer wollte das bestreiten: Es waren nicht nur marginale Unrichtigkeiten in der öffentlichen Kommunikationsarbeit bzw. PR-Strategie, welche der Deutschen Bischofskonferenz einen bedauerlichen Platz in dieser Negativliste eingebracht haben. Das Problem sitzt tiefer.

Das Problem sitzt auch lebens- und wesensmäßig wesentlich tiefer, als es mit ausgestrecktem Zeigefinger, »Negativpreisen« und öffentlicher Prangerwirkung je angefasst werden könnte; wenngleich äußerer »Druck« durchaus positiv beitragen kann.

In den Glaubensgemeinschaften, aber auch in den Medien: Immerhin sind die lebensmäßigen Widerstände gegen Innovationen in den eigenen Reihen in Medienorganisationen (!) ähnlich stark, ähnlich hartnäckig und ähnlich allzumenschlich. Wer wollte das bestreiten? Wesensmäßige »Erneuerung« und am Leben orientierte (!) »Innovationen« benötigt man also hüben wie drüben.

Und: Die eigenen Fehltritte in den Reihen der Journalisten werden nicht dadurch geringer, dass sie die Fehltritte in den Reihen anderer Organisationen (siehe Zitat) medienwirksamer zu publizieren vermögen. Der »Reifegrad« (siehe Zitat) von Journalisten ist nicht automatisch dadurch höher als der von Bischöfen, indem sie öffentlich deren Fehltritte »bekennen«.

Zahlreiche Medien würden ebenso an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie den menschlich erfolgreichen Umgang (!) mit Fehltritten, die in ihren eigenen Reihen vorkommen, genauso regelmäßig publizieren würden wie die (meist noch unbewältigten) Fehltritte in den Reihen anderer Organisationen. Derlei massive Selbstkritik an der eigenen Branche, am eigenen Haus gilt in Journalistenkreisen jedoch schnell als »Nestbeschmutzung«. Wie gesagt: Wesensmäßige »Erneuerung« und am Leben orientierte »Innovationen« benötigt man hüben wie drüben.

Man könnte es mit zwei – durchaus säkularen – Buchtiteln andeuten: Auf die berechtigte Frage im Innovationsmanagement »Wie kommt das Neue in die Welt?« ergibt sich je und je als Antwort der zunächst irritierende Zwischenbefund: »Innovationshemmnis Mensch«. Ja, auch in den Medien. Ach ja, auch im Medienmanagement. Und ja, auch bei Journalisten.

Bildnachweis: nr/Bastian Dincher

 

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Immaterielles Vermögen im Journalismus: konsequenter Fakten-Check

(jm)

Unter einseitigen, reduktionistischen Kosten- und Renditegesichtspunkten im derzeit dominierenden Sparjournalismus ist es unausgesprochen nur lästige Bremse im Workflow und überflüssige Kostenposition, aus Sicht der zukunftsorientierten Wissensperspektive aber unverzichtbar für das immaterielle Vermögen eines jornalistischen Medienunternehmens – und damit für seine existenzielle Glaubwürdigkeit aus Kundensicht: konsequenter, hartnäckiger, professioneller Fakten-Check.

Sehen Sie selbst:

ZAPP vom 31.03.2010 [mit Pfeiltaste rechts zum 3. Beitrag klicken]

Meine Prognose: Würden journalistische Medienunternehmen nicht länger nur unter einseitigen Kosten- und Renditegesichtspunkten ihr immaterielles Vermögen kaputtsparen, sondern das strategische Managementinstrument der »Wissensbilanz – Made in Germany« konsequent für die ganzheitliche Unternehmenssteuerung und die abgeleitete Maßnahmen- und Projektpriorisierung einsetzen, würden solche Fakten-Checker und professionellen Rechercheure schnell ein Mehrfaches ihrer Gehälter für ihr Medienunternehmen wert sein …

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Fakten für Fiktionen: Wenn Experten die Wirklichkeit dran glauben lassen

(jm)

Der Titel der Jahrestagung des netzwerk recherche e.V. am 09./10.07.2010 könnte kaum besser zur kanalübergreifenden medialen Wirklichkeit passen: »Fakten für Fiktionen: Wenn Experten die Wirklichkeit dran glauben lassen«. Aus dem Einladungstext zur Jahreskonferenz (hier als PDF):

Experten haben Konjunktur in den Medien: Sie empfehlen die Impfung gegen Schweinegrippe und bewerten die Blutwerte von Dopingsündern; sie sollen positive Wachstumsprognosen geben, wirkungslose »Wachstumsbeschleuniger« aber möglichst nicht kritisieren. Sie können je nach Thema und Format gemietet werden oder werben unbemerkt in eigener Sache. Gekaufte Institute, die gefällige Expertisen für die stillen Auftraggeber im Hintergrund produzieren. Journalisten nehmen all das brav auf – Herr Professor wird’s schon wissen. Kein Zweifel: Experten für Alles und Nichts sind heute Instrumente im Journalismus, die der Inkompetenz begegnen und dabei Zweifel der Medien mindern – und der Bequemlichkeit der Medienmacher dienen sollen.

»Experten sind in der heutigen Welt der größte Schatz, den ein Land besitzen kann«, hatte bereits Heinz Maier-Leibnitz, der frühere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, seinerzeit festgestellt. Sei es in Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft: Die Welt ist seitdem noch komplexer, der Experte als Wegweiser durch einen hochspezialisierten Wissens-Dschungel noch wichtiger geworden. Wenn gehetzte oder bequeme Journalisten nicht mehr durchblicken, dem Zweifel nicht mehr auf den Grund gehen, soll doch wenigstens der Experte so tun, als ob die »bestellte Wahrheit« stimmen könnte. Zitieren statt recherchieren – heißt die Zauberformel des heute dominierenden Sparjournalismus.

In der besten aller Welten aber haben Journalisten und Experten sogar ähnliche Funktionen: Beide sollen nach Wahrheit suchen, die Wirklichkeit mit allen Widersprüchen und Interessen so unabhängig und genau beschreiben wie nur möglich. Doch statt einer sinnvollen Symbiose beider Berufswelten kommt es oft zu Abhängigkeiten und einem fatalen Wechselspiel: Der Experte platziert vor allem Werbebotschaften für sein Themenfeld in den Medien oder lässt sich gleich ganz als Mietmaul einer Lobbygruppe engagieren; das eigene Institut muss schließlich irgendwie finanziert werden. »Wahrheit« und »Unabhängigkeit« von Experten sind – im Schatten des Drittmitteldrucks und unterfinanzierter Hochschulen – ein rares Gut. Auch den Journalisten interessiert – in Zeiten des Spar- und Quotendrucks – die Wahrheit oft weniger als die publikumsträchtige Story; der passende Experte für die gewünschte Dramaturgie (»Wir brauchen da noch einen Fachmann…«) wird sich schon finden. Hat es ein Experte dann mal in die erste Medienliga der »Angefragten« geschafft, beginnt das Expertenrecycling auf allen Kanälen: Und täglich grüßt der gleiche Spezialist – Kompetenz wird von Medientauglichkeit aufgefressen. Was jemand sagt und wie es begründet ist, wird zweitrangig, wenn die »Experten« knapp, prägnant und meinungsmoderat funktionieren.

Wie aber findet man als Journalist den richtigen Experten? Wie verhindern Journalisten, dass sie einem cleveren Fachidioten auf den Leim gehen? Wie enttarnt man »Mietmäuler« und selbsternannte Medien-Spezialisten? Und wie sollten Journalisten mit widersprüchlichen Expertenurteilen, die sie selbst überprüft haben, umgehen? – Das Verhältnis von Journalisten und Experten ist ein Schwerpunktthema auf der Jahrestagung des netzwerk recherche.

Aber auch in anderen der rund 100 Debatten, Vorträge und Workshops lassen wir uns kein X für ein U vormachen. Kompetente Referentinnen und Referenten präsentieren frisches Wissen aus erster Hand, vermitteln Handwerk und streiten über die Krise des Journalismus. Machen Sie mit bei der »Konferenz von Journalisten für Journalisten«. Mischen Sie sich ein. Bringen Sie Ihre Fragen, Zweifel und Ermutigungen mit nach Hamburg zur Jahreskonferenz von netzwerk recherche.

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Neue Studie: Qualitätsjournalismus in Deutschland

(jm)
Aktuelle Studie zum Qualitätsjournalismus in Deutschland:
Verlage nutzen Wirtschaftskrise für Redaktionsumbau –  redaktionelle Arbeitsverdichtung birgt Gefahren für journalistische Qualität

Seit Jahren leiden Zeitungen und Zeitschriften unter stark rückläufigen Auflagen und Werbeeinnahmen. Insbesondere junge Lesergruppen – und mit ihnen die Anzeigenkunden – wenden sich von den Printmedien ab. Vor diesem Hintergrund haben viele Verlage die Wirtschaftskrise genutzt, um weitreichende strategische Maßnahmen zu ergreifen: Anzeigen-, Vertriebs- und Herstellungsabteilungen wurden zentralisiert oder ausgelagert. Entscheidender noch: die betriebswirtschaftlichen Maßnahmen haben die Struktur vieler Redaktionen erfasst.

Wie diese neuen Redaktionsformen aussehen und welche Auswirkungen sie auf die journalistische Qualität haben, wurde nun in einer umfangreichen Studie untersucht. Das Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin führte diese im Auftrag des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes mit finanziellen Mitteln seiner Vorgängerorganisation durch.

Ergebnisse

Drei Trends stellt die Studie heraus: Auslagerungen, Redaktionsfusionen und Redaktionskooperationen sind die zentralen Maßnahmen, durch die Verlage ihre Redaktionen in der Wirtschaftskrise umgebaut haben. Zudem die Erkenntnis, dass es der Branche bislang nicht gelungen ist, ein funktionierendes Geschäftsmodell für Qualitätsjournalismus im Internet zu etablieren.

Beim Outsourcing umgehen Verlage die Tarifbindung, indem sie Teile der Redaktion als selbstständiges Tochterunternehmen auslagern. Redaktionszusammenlegungen, wie bei der Fusion dreier Regionalzeitungen der WAZ und bei den Gruner+Jahr-Wirtschaftsmedien, sollen Kosten sparen, indem die Arbeit auf weniger Köpfe verteilt wird. Artikelsyndizierung und Autorenpools bieten bei der Welt-Gruppe der Axel Springer AG und beim Berliner Verlag/M. DuMont Schauberg neue Möglichkeiten des Austauschs und der Mehrfachverwertung von Artikeln.

Mit diesen Maßnahmen werden zunächst zwar einzelne Titel, Standorte und die lokale Vielfalt gesichert. In der Folge aber dürfte die nationale Vielfalt der Berichterstattung abnehmen, während Agenturabhängigkeit und Selbstreferentialität der Medien zunehmen. Die Verdichtung redaktioneller Arbeit könnte systematisch zu Lasten journalistischer Qualitätsroutinen und Recherche gehen.

Studiendesign

Die Studie des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft rekonstruiert die Branchenstrategien der letzten zwei Jahre. Dabei wurden zwei Fälle genauer empirisch untersucht: die Gruner+Jahr-Wirtschaftsmedien sowie der Berliner Verlag/M. DuMont Schauberg. Hierzu führte man zehn Experteninterviews mit führenden Medienmanagern der beiden Verlagshäuser und ihrer Wettbewerber durch. Zur Beurteilung der publizistischen Auswirkungen erfolgten zehn Interviews mit professionellen Mediennutzern und PR-Managern.

Expertenbewertung

Die Verlagsmanager rechneten aufgrund der schlechten Lage der deutschen Presse mit einer weiteren Marktkonzentration. Als Mittel des Kostenmanagements bewerteten sie die geschilderten Strategien insgesamt positiv. Bedenken äußerten sie hinsichtlich der journalistischen Herausforderung, künftig unterschiedlichen Profilen stilistisch gerecht zu werden.

Professionelle Leser, die als PR-Manager Printmedien beruflich nutzen, zeigten Verständnis für die Probleme der Pressekrise und die Maßnahmen der Verlage. Befürchtet wird aber, dass sich die ökonomischen Zwänge mittelfristig negativ auf die journalistische Qualität auswirken. Bereits heute wird eine zu starke Orientierung an vordergründiger Aktualität und vermeintlicher Exklusivität moniert, die zu Lasten gründlicher Recherche und Themenaufbereitung gehe. Wichtig sei, dass auch in Zukunft die Einzelprofile der Blätter erkennbar bleiben – und kein »Einheitsbrei« serviert wird. (Quelle: DFJV)

Die komplette Studie können Sie hier als PDF-Download abrufen.

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Lokaljournalismus mit 5000 Meilen Luftlinie

(jm)

MumbaiStellen Sie sich einmal vor, Sie sitzen morgens am Frühstückstisch – und Ihre gewohnte lokale oder regionale Tageszeitung präsentiert sich irgendwie anders als sonst: Im Regionalteil lesen Sie statt der gewohnten »Ortsmarke« Ihres Heimatortes, einer nahegelegenen Großstadt (oder überhaupt einer deutschen Stadt) überall als Ortsmarke »Mumbai«, »Bangalore« und »Delhi«. Sie werden stutzig und unruhig, obwohl: Nach wie vor enthält Ihre örtliche Tageszeitung lokale und regionale Nachrichten. Sie entspannen sich wieder. Vielleicht war das ja nur ein einmaliges Versehen, ein schlechter Scherz. Dennoch: Irgendwie werden Sie das komische Gefühl nicht los, als kenne sich der Redakteur mit den örtlichen Befindlichkeiten und Stimmungslagen neuerdings nicht besonders gut aus. – Sie beschließen, der Sache nachzugehen.

Sie greifen zum Telefonhörer und rufen in der Redaktion an. Ihr Gesprächspartner erklärt Ihnen, ja, das stimme, die Lokalredaktion bestehe ab sofort aus Kostengründen überwiegend aus indischen Journalisten, die ausschließlich via Internet und eMail arbeiteten. Sie erfahren weiter: Ja, Interviews mit lokalen Größen führe man nun von Indien aus per Webcam, und die Videos lokaler Ratssitzungen schicke man zur journalistischen Auswertung extra an einen indischen Journalisten, der selber persönlich ein paar Jahre in Deutschland gelebt habe – und sogar schon mal zwei Tage in Ihrer Heimatstadt verbracht habe. »Ein Glücksfall bei der Personalbesetzung!« jubelt Ihnen die Stimme am anderen Ende der Leitung in den Hörer. – Und irgendwie gelingt es Ihnen nicht, sich mitzufreuen.

Was für deutsche Ohren wie Utopie klingt, befindet sich im amerikanischen Lokaljournalismus seit Jahren in kleinen »Testlaboren«: Beispielsweise übertrug der amerikanische Ex-Textilproduzent James Macpherson mit seiner »Online-Lokalzeitung« „Pasadena Now“ schon kurzerhand die kostenrechnerischen Gepflogenheiten der Textilindustrie auf ein lokaljournalistisches Internetangebot – und lässt die amerikanische »Lokalzeitung« „Pasadena Now“ mittels eines virtuellen Netzwerks indischer Journalisten fast komplett in Indien verfertigen. Das Magazin für politische Kultur »Cicero« berichtete bereits in seiner Februar-Ausgabe; weitere Artikel zum Thema finden Sie beispielsweise beim Kölner Stadt-Anzeiger, beim Deutschlandradio und bei Sebastian Moll.

Natürlich mag ein solches Geschäftsmodell attraktiv erscheinen für einen »Verleger« und  »Chefredakteur« wie Macpherson, der früher als Textilproduzent beruflich in Vietnam nähen ließ. Oder auch für den einen oder anderen deutschen Verlagsmanager mit Söldnermentalität, dem jene »Liebe zum Zeitungmachen« abgeht, von der die Verlegergeneration nach dem zweiten Weltkrieg noch erfüllt war. Wer weiß: Vielleicht hätte ja das eine oder andere entlassungsfreudige Medienhaus ein solches »Geschäftsmodell« bereits mit Kusshand implementiert, wenn es einen größeren Rekrutierungsmarkt deutschsprachiger Inder gäbe? Oder stellen wir die Frage anders: Vielleicht bringen deutsche Zeitungsverleger in Kürze interkulturelle Projekte an den Start, mit denen nicht länger nur Schülerinnen und Schüler deutscher Schulen verstärkt an deutschsprachige Tageszeitungen herangeführt werden sollen, sondern auch Schülerinnen und Schüler indischer Schulen, die dann ein Jahrzehnt später – von Mumbai oder Delhi aus  – mit 5000 Meilen Luftlinie »deutschen Lokaljournalismus« zum Textilindustrietarif betreiben könnten? Wie gesagt: Wer weiß.

Der springende Punkt ist jedoch: Was dem deutschen Verlagsmanager aus der isolierten Bilanz- und Kostenperspektive sinnvoll erscheinen mag, macht aus der Wissensperspektive betrachtet noch lange keinen Sinn. Übersehen werden beispielsweise die immateriellen Erfolgspotenziale, die im individuellen, unwiederbringlich verlorenen Beziehungskapital des einzelnen Wissensträgers liegen, oder in den verloren gegangenen individuellen Zugängen zur Domäne des Kundenwissens. Entlassungen von wichtigen Wissensträgern – wie Redakteuren – aus reinen Kosten- und Renditeüberlegungen beflügeln den Gewinn nicht anders als ein Doping- oder Aufputschmittel: Ein kurzer Höhenflug – gefolgt von einem nachhaltigen Absturz …

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