15. April 2012 · 21:50
(jm)
Stefan Strobel befasst sich in seiner neu erschienenen Dissertation mit den Spannungsfeldern, in denen sich zukünftig die strategischen Ziele vieler mittelständischer Unternehmungen bewegen: nicht nur traditionell 1.) Senkung der Steuerlast und 2.) Steigerung bzw. Sicherstellung der Liquidität, sondern als neues Ziel auch 3.) Verbesserung der eigenen Ratingnote für Kreditvergabeentscheidungen aus Bankensicht.
Daher trägt seine Dissertation den Titel: »Unternehmensplanung im Spannungsfeld von Ratingnote, Liquidität und Steuerbelastung« [2012].
War es dem deutschen Mittelstand in der Vergangenheit noch möglich, die eigene Bilanz zur Senkung der Steuerlast weitestgehend unter steuerlichen Gesichtspunkten optimieren zu können, ohne auf zukünftige Rating- und Bonitätskriterien von Banken bei Kreditvergabeentscheidungen Rücksicht nehmen zu müssen (Basel II und III), erweist sich dieser eindimensionale bilanzstrategische Fokus zunehmend als weniger aussichtsreich.
Zugespitzt formuliert: Der Unternehmer bräuchte eigentlich zwei Bilanzen: eine »gute« (Basel-II/III- und bonitätsoptimierte) Bilanz für die Bank, um auch in Zukunft günstige Kredite zu erhalten, und eine »schlechte« für das Finanzamt, um auch in Zukunft eine möglichst geringe Steuerlast zu erzielen.
Denn: »Das Inkrafttreten der Regelungen von Basel II stellt einen Wendepunkt in der Kreditbepreisung dar. Die Eigenkapitalhinterlegung der Banken für Kredite ist nicht mehr pauschal geregelt, sondern sie ist abhängig von der Bonität der Kreditnehmer. Die für die Bank entstehenden bonitätsabhängigen Kosten eines Kredites werden an die Kreditnehmer weitergegeben. Der Mittelstand, um den es in der Analyse vorrangig geht, ist bei der Kreditbeschaffung fast ausschließlich auf Banken angewiesen und muss sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen und auch einstellen können.«
Eine der Forschungsfragen Strobels lautet daher sinngemäß: Muss in der eigenen Bilanzgestaltungsstrategie nicht vielmehr in Zukunft ein mehrdimensionales Optimum – bezogen auf Cash-flow, Gewinn, Unternehmenswert, Steuerzahlung und Ratingnote – gefunden und austariert werden?
Die Lösung dieses strategischen Dilemmas versucht der Autor dahingehend, »ein Unternehmensplanungsmodell zu entwickeln, welches das Zusammenspiel der konkurrierenden Ziele Ratingverbesserung, Senkung der Steuerlast und Steigerung der Liquidität abbildet. Von besonderem Interesse ist dabei, die Wirkungen des planerischen Handelns nicht nur qualitativ zu analysieren, sondern auch konkret zu quantifizieren. Als Ratingmodell für die Planung wurde ein statistisch-empirisches Bilanzrating auf Basis einer logistischen Regression und parallel dazu eine Liquiditätssimulation gewählt. Die Kombination der beiden völlig unterschiedlichen Ratingansätze ist nicht nur wissenschaftlich ein neuer Weg, sondern sicherlich auch ein Ansatz für die praktische Umsetzung der am Markt befindlichen Unternehmensplanungssysteme.«
Insgesamt kann ich diesem Lösungsansatz nur bedingt zustimmen, da der Autor die soziologische Sicht auf die wissens- und kompetenzbasierten immateriellen Vermögensbestandteile in Unternehmen und Organisationen – und die hierzu verfügbaren Forschungsergebnisse – so gut wie ausklammert. Diese zukunftsorientierten immateriellen Erfolgserfaktoren (das sog. Intellectual Capital) variieren erheblich von Unternehmen zu Unternehmen und müssen unternehmensindividuell unter repräsentativer Beteiligung der Belegschaft entwickelt werden, um überhaupt die in Zukunft aussichtsreichsten Geschäftsfelder, Innovationen und Projekte identifizieren und priorisieren zu können.
Gerade für kleine und mittlere Unternehmen (und ihre zukünftigen Kreditvergabegespräche) ist daher die workshopbasierte Methode »Wissensbilanz – Made in Germany« in meinen Augen das überlegenere, leistungsfähigere und auch pragmatischere Modell, denn im Unterschied (und natürlich auch in Ergänzung) zu Strobels Ansatz stellt diese Methode die graduellen und zeitlichen Wirkungszusammenhänge innerhalb der immateriellen Erfolgsfaktoren und ihre Wirkung auf den zukünftigen Geschäftserfolg dar.
Nicht umsonst heißt es nahezu einhellig aus Geschäftsleitungsmund: »Unsere Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital«. Eine Optimierung strategischer Unternehmensplanungsziele, die dieses »wichtigste Kapital« (bzw. Vermögen, da es immaterielle außerbilanzielle Aktiva sind) nicht angemessen berücksichtigt oder hierfür kein geeignetes mitarbeiterbeteiligungsorientiertes Steuerungs- und Controllinginstrument einsetzt, wie es seit 2004 mit der »Wissensbilanz – Made in Germany« zur Verfügung steht, verschenkt ein gerütteltes Maß an zukünftigem Markt- und Innovationserfolg.
Es bringt jedoch vergleichsweise wenig, ein »Optimum« zu suchen, wenn dieses »Optimum« innerhalb der unpassenden Zielstruktur und sogar des falschen Paradigmas liegt. Und das tatsächliche »Vermögen« eines Unternehmens ist nun einmal nicht das, was nach § 242 Abs. 1 HGB bilanziert werden kann und muss und darf, sondern das tatsächliche Vermögen eines Unternehmens ist das, was es – durch seine Mitarbeiter – am Markt vermag. Vermögen ist das, was jemand vermag. Der bilanzielle Vermögensbegriff weist damit etymologisch nicht auf Geld, sondern auf Können und Kompetenzen hin. Bankenseitige Ratinginstrumente erfassen dies jedoch nur unzureichend.
Um nun die Aussagekraft dieser Methode (eben auch aus Bankensicht!) sicherzustellen, empfiehlt es sich, ausschließlich mit (zwei) gut ausgebildeten Moderatoren und sorgfältig nach der originalen Moderationsmethode vorzugehen, anstatt sich von verkappten Unternehmensberatern mit der Aussage verwirren zu lassen, man könne diese Methode auch im Alleingang und mit nahezu beliebigen Verkürzungen durchführen: Da es im Bausteinmodell des Wissensmanagements bei der Wissensevaluation auch um die strategisch wichtigen Auswirkungen auf die zukünftigen (Wissens-)Ziele geht, lohnt es sich (eben auch aus Bankensicht!) nicht, hier an der falschen Stelle zu sparen.
Um aber wieder auf Strobels Dissertation zurückzukommen: Auch wenn insgesamt die anthropologische Wissens- und Lernperspektive in Strobels Lösungsansatz weitestgehend unberücksichtigt bleibt, so ist es ein Verdienst der vorgelegten Dissertation, einem der dringendsten und drängendsten Dilemmata von Klein- und Mittelunternehmen (KMU) nachgegangen zu sein.
Zu den wichtigen, gerade für KMU relevanten Forschungsvorhaben der nächsten Jahre dürfte es daher gehören, ergänzend den Stellenwert der »Wissensbilanz – Made in Germany« beispielsweise bei Bonitätsbewertungen/Ratingprozessen, Kreditvergabeentscheidungen, Unternehmenskäufen, Nachfolgeregelungen und auch bei Insolvenzverfahren herauszuarbeiten. Denn: Sieht man sich aktuelle mittelständische Veröffentlichungen zu den immer langwieriger werdenden Verhandlungen mit Banken über die Gewährung, Verlängerung oder Ausweitung von Kreditvolumina an, ebenso die Prognosezahlen bei KMU-Insolvenzen für die nächsten Jahre, drängt sich die hohe – und noch steigende – Relevanz der Problemskizze geradezu wie von selbst auf.
Allerdings sollte aus meiner Sicht die vorgelegte Problemskizze eben um die (soziologische und erwachsenenpädagogische) Perspektive kategoriell so erweitert werden, dass auch die systematisch-methodische, zukunftsorientierte, kontextabhängige, geschäftsprozessrelevante, partizipativ-beteiligungsbasierte Wissens- und Kompetenzenevaluation mit in die Lösung einbezogen wird.
Denn das »wichtigste Kapital« (bzw. Vermögen) – das sind tatsächlich die gut ausgebildeten, motivierten, leistungsfähigen und handlungskompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens. Das Vermögen eines Unternehmens besteht in dem, was ein Unternehmen personell zu tun vermag – auch aus der Sicht von Basel II und Basel III.
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