Archiv der Kategorie: Strategieforschung

Regionen und Bottom-up-Ökonomie

(jm)
Es würde wohl eine eigene Monographie erfordern, den Begriff der »Region« nicht nur in allen Facetten etymologisch herzuleiten, sondern auch seine geschichtlichen und heutigen Verwendungsmöglichkeiten und Konnotationen darzustellen. Der lateinische Ursprung (regio) umfasst Bedeutungen wie »Grenze«, »Lage«, »Landschaft« und »Bezirk«, ist jedoch auch verwandt mit regere (leiten), mit regia (Residenz) und regimen, d.h. mit der »Lenkung«, »Verwaltung«, »Steuerung« und »Leitung« (vgl. »Regierung«, »Regiment«, »Regent«, »Regie«).[1] Trennscharfe Definitionsversuche sind so kaum zielführend, und dementsprechend unpräzise wird der Regionsbegriff denn auch im Alltag verwendet. Festgehalten werden kann jedoch: Im Regions- und Regionalbegriff klingt geschichtlich und sprachlich ein Moment von ausgeübter Macht und Herrschaft mit.

Eine weitere Ableitung sieht den Bedeutungsschwerpunkt eher bei »Gebiet« und »Gegend« und inkludiert – in Anlehnung an lat. regere (lenken, leiten) – beim Regionsbegriff den Sinn einer gebietsmäßig umgrenzenden und (ein-)ordnenden Aktivität des Steuerns und Leitens.[2] Gesteuert werden kann aber nur in der Gegenwart für die Zukunft. Dem Regionsbegriff inhärent sind somit zukunftsgerichtete Raumgestaltungsaspekte. Der Gebietsbegriff wiederum lässt sich etymologisch ableiten von »gebieten«,[3] d.h. »Befehlsgewalt ausüben«; ein Gebiet wäre demnach ein Bereich, »in dem der Befehl gilt«.[4] Dies könnte ebenfalls hindeuten auf ein mögliches Verständnis auch von Region und Regionalentwicklung, das a) traditionell stark hierarchisch und zentralistisch geprägt ist, b) ausschließlich mit »Top-down-Ansätzen« einem »Gebiet« aufgeprägt wird und c) mit einer ausgeprägten »Top-down-Ökonomie«[5] korrespondiert.

Neben »Top-down-Ansätzen« zentralistisch-hierarchischer Regionalgestaltung gewinnt die dezentrale endogene (gr.: »aus dem Inneren entstanden«, also eigenständige) Regionalentwicklung »in Zeiten der starken globalen Vernetzung an Bedeutung, denn regionsspezifische Potentiale lassen sich oftmals besser durch orts- und problemnahe Planung regionaler Akteure aktivieren als durch delegierte Maßnahmen von nationaler oder globaler Stelle.«[6] Dies entspricht einer sich formenden, komplementären »Bottom-up-Ökonomie«[7], die zunehmend die Wertschöpfungssystematik der »Top-down-Ökonomie« ergänzt.[8]


[1] Langenscheidt-Redaktion (Hrsg.) (2005): Handwörterbuch Lateinisch-Deutsch, Stichwort »Region«

[2] Kluge (2002): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Stichwort »Region«, S. 752

[3] Kompetenzzentrum (Hrsg.) (2004): CD-ROM »Der Digitale Grimm«, Stichwort »Gebiet«

[4] Kluge (2002): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Stichwort »Gebiet«, S. 335

[5] Redlich (2011): Wertschöpfung in der Bottom-Up-Ökonomie, S. 35

[6] Kühn (2007): Standortentwicklung »von unten«, S. 1

[7] Redlich (2011): Wertschöpfung in der Bottom-up-Ökonomie, S. 35

[8] Vgl. Redlich (2011): Wertschöpfung in der Bottom-up-Ökonomie, S. 215

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Partizipative Regionalentwicklung als moderierter Bürgerdialog

(jm)
Einseitigkeiten in Wahrnehmung, Wirklichkeitskonstruktion und Sprache erweisen sich empirisch evident oft darin, dass notwendige (heilsame) Komplementärbegriffe gleichsam zu fehlen scheinen. Würde man in repräsentativen Umfragen beispielsweise nach komplementären Begriffen (und Trends) zum Stichwort »Globalisierung« fragen, würden vermutlich nicht viele der Befragten auf Anhieb den korrespondierenden lebensweltlichen Bezug zu Konstrukten wie »Regionalisierung« bzw. »Lokalisierung« erkennen.[1] Durch diese Brille betrachtet, scheint Globalisierung »alternativlos« zu sein – und daher möglicherweise per se erstrebenswerter – als vermeintlich kleinbürgerliche »Provinzialität«.

Direkte lokale und regionale Bürgerbeteiligung hingegen ist spätestens seit »Stuttgart 21« bundesweit neu ins Bewusstsein des Volkes gerückt: Bürgerinnen und Bürger interessieren und engagieren sich wieder vermehrt für die Gestaltung und Zukunft ihres geographisch-sozialen Lebensraums.[2] Lokale und regionale Raumentwicklung werden Gegenstand öffentlich-medialer Prozesse materieller und immaterieller Güterabwägung, sogar harter Kontroversen und schwerer Konflikte.

Offensichtlich also reicht es im 21. Jahrhundert nicht länger aus, lokale und regionale öffentliche Projekte verwaltungsrechtlich »einwandfrei« nur durch die formellen Entscheidungsinstanzen zu bugsieren. Bürgerinnen und Bürger wollen vielmehr gerade bei politisch motivierten Projekten mehr denn je persönlich angesprochen, gehört, involviert und emotional »mitgenommen« werden, anstatt »vor vollendete Tatsachen« gestellt zu werden – sie wollen sich aktiv beteiligen, vor Ort an der politisch-strategischen Regionalentwicklung »partizipieren«. Erfahrungsgemäß kommt hinzu, »dass sich Bürgerinnen und Bürger meistens erst dann für die Projektfolgen interessieren, wenn diese ganz konkret werden.«[3]

Solche Partizipation ist durchaus im Sinne moderner endogener (eigenständiger) Regionalpolitik: eines ihrer wesentlichen Elemente ist die Stärkung regionaler Selbstorganisationsfähigkeiten und lokaler Eigenverantwortung durch die aktive Mit- und Selbstbestimmung der Bevölkerung vor Ort.[4] Angedacht ist: Wenn unterschiedliche Kompetenzträger auf diese Weise gemeinsam für eine Region Verantwortung tragen und sowohl effektiv als auch effizient zusammenwirken,[5] können Lebensräume nachhaltig dem abgewogenen Gesamtwohl und nicht nur überhöhten lobbygesteuerten Partikularinteressen dienen – und so »ihre maximale Selbstwirksamkeit entfalten.«[6]

Steter Stein des Anstoßes bei der strategischen Entwicklung einer Region ist es nun, das genaue »Wie« der durchaus konfliktären Güterabwägung im Licht der Öffentlichkeit und im Rahmen der freiheitlich-demokratischen[7] Grundordnung möglichst transparent abzubilden: Wie findet und priorisiert eine Region unter teils restriktiven Budgetbedingungen[8] ihre langfristig-strategisch wirkungsvollsten Projekte, und wie integriert sie am sinnvollsten den regionalen Bürgerwillen, das »Gemeinwohl« sowie alle divergierenden Partikularinteressen in den Gesamtprozess bis hin zur Maßnahmenumsetzung?

Hier sind die vielzitierten »mündigen Bürgerinnen und Bürger« einer Region gefragt und unter komplexen Bedingungen herausgefordert, hier sind gereifte und ausgewogene Einschätzungen wichtiger als kurzsichtige Willensdurchsetzung auf Kosten anderer; hier sind, kurz gesagt, kompetente und gereifte Erwachsene – im umfassendsten Sinne des Wortes – das wohl zukunftsträchtigste »Kapital«[9] einer Region.

In einer ersten Näherung kann daher gefolgert werden: Stärkere partizipative Regionalentwicklung führt im 21. Jahrhundert zu neuen Anfragen an die regionale Erwachsenenbildung, insbesondere an die Heran- und Herausbildung, an die Identifizierung und Zusammenführung erwachsener, mündiger, gereifter, lebenserfahrener Menschen als Teams, als moderierte Projektgruppen und Netzwerkpartner im regionalen Vor-Ort-Kontext.

Als eine mögliche neue Prozessunterstützungsmethode der strategischen Regionalentwicklung kommt hier die »Wissensbilanz – Made in Germany«[10] ins Spiel, die im Jahr 2004 als Projekt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi)[11] unter Federführung des Fraunhofer Instituts für Produktionsanlagen und Kommunikationstechnik (IPK) ausgestaltet wurde[12] und die, wenngleich noch wenig bekannt, seitdem zum »state of the art« wissensbasierter Organisationsführung und zeitgemäßer zukunftsorientierter Controllingstrategie gehört.

Ganz im Sinne des Wissensbilanz-Pioniers Leif Edvinsson[13] hat zuletzt die Arbeit von Mauch (2011) aufgezeigt, wie mit Hilfe dieser moderierten workshopbasierten Evaluationsmethode, ausgestaltet als Bürgerreport bzw. »regionale Wissensbilanz«[14], ein Prozess der Nutzung des impliziten regionalen Wissens[15] der Bürgerinnen und Bürger sogar für eine Kommune, einen Landkreis oder eine größere Region entwickelt werden kann und wie die hierzu bereiten und fähigen Bürgerinnen und Bürger sich vor Ort repräsentativ einbringen können.[16] Es geht damit auch um einen lernenden Organismus von vielfältig-kompetenten erwachsenen Menschen, die sich temporär und projektbasiert verbinden zur Evaluation und Gestaltung des gesamt-optimalen zukünftigen Regionalumfeldes – was wiederum in bisherigen Definitionen, Konstrukten und methodischen Ansätzen zur regionalen Erwachsenenbildung so nicht explizit aufscheint.

In bekannten Definitionen zur regionalen Erwachsenenbildung (z.B. Nuissl[17]) sind diese noch zu bezeichnenden Kompetenzen nicht im Zusammenhang mit dem »state of the art« in der endogenen Regionalentwicklung und regionalen Wissensbilanzierung auskonturiert, so dass hier eine Forschungslücke besteht. Daher wird mit der in Kürze erscheinenden Arbeit »Partizipative Regionalentwicklung als moderierter Bürgerdialog« insgesamt Neuland betreten. Um diese Lücke aber zu schließen, wären wohl umfangreiche interdisziplinäre Monographien erforderlich, so dass die Arbeit sich lediglich als erste thematische Relevanzanzeige versteht.


[1] Vgl. Nuissl (2010): Internationalisierung, in: Arnold/Nolda/Nuissl (Hrsg.) (2010): Wörterbuch Erwachsenenbildung, S. 166; vgl. auch Siegert (2004), Erfolgsfaktoren von Regionen, S. 13-14

[2] Vgl. Voigt (2010): Die Informiertheit der Bürger steigt, in: Stuttgarter Zeitung vom 20.07.2010

[3] Mauch (2011), Moderierter Bürgerdialog, S. 38

[4] Vgl. Mauch (2011), Moderierter Bürgerdialog, S. 22; ähnlich auch Reupold/Strobel/Tippelt (2011): Vernetzung in der Weiterbildung: Lernende Regionen, in: Tippelt/von Hippel (Hrsg.) (2011): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung, S. 579

[5] Vgl. Mauch (2011), Moderierter Bürgerdialog, S. 22

[6] Mauch (2011), Moderierter Bürgerdialog, S. 22

[7] Ganz im Sinne der dezentralisierten endogenen Regionalentwicklung ist es bedeutsam, dass „demos“ im Griechischen – abweichend zu vielstimmiger Auskunft – nicht nur „Volk“ bedeutet, sondern auch „Dorf“.

[8] Vgl. Mauch (2011): Moderierter Bürgerdialog, S. 14

[9] Vgl. Edvinsson / Brünig (2000), Aktivposten Wissenskapital, S. 11

[10] Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.) (2008):Wissensbilanz – Made in Germany. Leitfaden 2.0, S. 5

[11] Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.) (2008):Wissensbilanz – Made in Germany. Leitfaden 2.0, S. 4

[12] Bornemann / Reinhardt (2008): Handbuch Wissensbilanz, S. VII

[13] Edvinsson / Bounfour (Hrsg.) (2005): Intellectual Capital for Communities, Regions, Nations, and Cities

[14] Mauch (2011): Moderierter Bürgerdialog, S. 40 ff.

[15] Vgl. Mauch (2011): Moderierter Bürgerdialog, S. 54-56; sowie grundlegend Polanyi (1985): Implizites Wissen, S. 13-31

[16] Vgl. Mauch (2011): Moderierter Bürgerdialog; sowie Edvinsson / Bounfour (Hrsg.) (2005): Intellectual Capital for Communities, Regions, Nations, and Cities

[17] Vgl. Nuissl (2010): Regionale Erwachsenenbildung, in: Arnold/Nolda/Nuissl (Hrsg.) (2010): Wörterbuch Erwachsenenbildung, S. 258

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Projektwirtschaft = Kommunikation


»Die Welt von morgen ist eine Welt der Projektwirtschaft. Laut einer Studie der Deutschen Bank wurden im Jahr 2007 etwa 2 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland über die Projektwirtschaft erbracht. Im Jahr 2020 werden es bereits 15 Prozent sein. Diese Entwicklung hat mehrere Ursachen: Wissen multipliziert sich schneller und früher getrennte Wissensgebiete wachsen zusammen. Die Nachfrage nach komplexen Produkten und Leistungsangeboten steigt. Gleichzeitig bleibt der Kostendruck hoch und Innovationen sind weiter risikobehaftet. Unternehmen stellen sich diesen Herausforderungen, indem sie in wissensintensiven Bereichen zunehmend mit anderen Unternehmen kooperieren. Das können Mittelständler sein, die sich auf Spezialgebiete konzentriert haben, oder auch große Unternehmen, die auf den gleichen Märkten aktiv sind und außerhalb des Kooperationsbereichs als Wettbewerber auftreten.

Um Spitzentechnologien und neue, wissensintensive Dienstleistungen zu entwickeln und zu vermarkten, gehen die Unternehmen zeitlich befristete Kooperationen ein, oft in Form rechtlich selbstständiger Organisationen. Diese temporären Projektorganisationen existieren entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Sie zu steuern stellt nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) eine der zentralen Aufgaben für das Projektmanagement der Zukunft dar. Damit verstärkt sich ein Trend, der zu Beginn der 1990er Jahre bereits das traditionell eher methodenorientierte Projektmanagement ergänzte und hinterfragte: die Auseinandersetzung mit dem Faktor Mensch.

Projektmanagementpraktiker hatten bereits damals den Eindruck, bei der Optimierung der ‚harten‘ Faktoren wie Zeit- und Ressourcenplanung, Finanzierung, Projektsteuerung und Projektmanagement-Werkzeuge an eine Obergrenze zu stoßen. Das eigentliche Potenzial sahen sie in Themenbereichen wie Zusammenstellung und Führung von Teams, Motivation, Sozialkompetenz, Projektkultur und Lernen, kurz: der Projekt-Soziologie und -Psychologie. Deren Bedeutung und Attraktivität als Forschungsgebiet dürfte mit der Entwicklung zu einer immer mehr von Projektarbeit geprägten Wirtschaft auch in Zukunft hoch bleiben.

In den Empfehlungen der Projektmanagementexperten zur Gestaltung der weichen Faktoren tritt mit erstaunlicher Regelmäßigkeit immer wieder ein Thema in den Vordergrund: die Projektkommunikation. In der Ratgeberliteratur wie auch in wissenschaftlichen Aufsätzen wird ihr eine hohe, wenn nicht die entscheidende Bedeutung für den Projekterfolg beigemessen.«

Quelle: Matthias Freitag: Projektmanagement und Projektkommunikation – zum Forschungsstand, in: Freitag/Müller/Rusch/Spreitzer (Hrsg.): Projektkommunikation. Strategien für temporäre soziale Systeme [2011], S. 11-12 (kursive Hervorhebungen von mir).

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Wie viele Bilanzen braucht eigentlich ein Unternehmen?

(jm)
Stefan Strobel befasst sich in seiner neu erschienenen Dissertation mit den Spannungsfeldern, in denen sich zukünftig die strategischen Ziele vieler mittelständischer Unternehmungen bewegen: nicht nur traditionell 1.) Senkung der Steuerlast und 2.) Steigerung bzw. Sicherstellung der Liquidität, sondern als neues Ziel auch 3.) Verbesserung der eigenen Ratingnote für Kreditvergabeentscheidungen aus Bankensicht.

Daher trägt seine Dissertation den Titel: »Unternehmensplanung im Spannungsfeld von Ratingnote, Liquidität und Steuerbelastung« [2012].

War es dem deutschen Mittelstand in der Vergangenheit noch möglich, die eigene Bilanz zur Senkung der Steuerlast weitestgehend unter steuerlichen Gesichtspunkten optimieren zu können, ohne auf zukünftige Rating- und Bonitätskriterien von Banken bei Kreditvergabeentscheidungen Rücksicht nehmen zu müssen (Basel II und III), erweist sich dieser eindimensionale bilanzstrategische Fokus zunehmend als weniger aussichtsreich.

Zugespitzt formuliert: Der Unternehmer bräuchte eigentlich zwei Bilanzen: eine »gute« (Basel-II/III- und bonitätsoptimierte) Bilanz für die Bank, um auch in Zukunft günstige Kredite zu erhalten, und eine »schlechte« für das Finanzamt, um auch in Zukunft eine möglichst geringe Steuerlast zu erzielen.

Denn: »Das Inkrafttreten der Regelungen von Basel II stellt einen Wendepunkt in der Kreditbepreisung dar. Die Eigenkapitalhinterlegung der Banken für Kredite ist nicht mehr pauschal geregelt, sondern sie ist abhängig von der Bonität der Kreditnehmer. Die für die Bank entstehenden bonitäts­abhängigen Kosten eines Kredites werden an die Kreditnehmer weitergegeben. Der Mittelstand, um den es in der Analyse vorrangig geht, ist bei der Kreditbeschaffung fast ausschließlich auf Banken angewiesen und muss sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen und auch einstellen können.«

Eine der Forschungsfragen Strobels lautet daher sinngemäß: Muss in der eigenen Bilanzgestaltungsstrategie nicht vielmehr in Zukunft ein mehrdimensionales Optimum – bezogen auf Cash-flow, Gewinn, Unternehmenswert, Steuerzahlung und Ratingnote – gefunden und austariert werden?

Die Lösung dieses strategischen Dilemmas versucht der Autor dahingehend, »ein Unternehmens­planungsmodell zu entwickeln, welches das Zusammenspiel der konkur­rierenden Ziele Ratingverbesserung, Senkung der Steuerlast und Steigerung der Liquidität abbildet. Von besonderem Interesse ist dabei, die Wirkungen des planerischen Handelns nicht nur qualitativ zu analysieren, sondern auch konkret zu quantifizieren. Als Ratingmodell für die Planung wurde ein statistisch-empirisches Bilanzrating auf Basis einer logistischen Regression und parallel dazu eine Liquiditätssimulation gewählt. Die Kombination der beiden völlig unterschiedlichen Ratingansätze ist nicht nur wissenschaftlich ein neuer Weg, sondern sicherlich auch ein Ansatz für die praktische Umsetzung der am Markt befindlichen Unternehmensplanungssysteme.«

Insgesamt kann ich diesem Lösungsansatz nur bedingt zustimmen, da der Autor die soziologische Sicht auf die wissens- und kompetenzbasierten immateriellen Vermögensbestandteile in Unternehmen und Organisationen – und die hierzu verfügbaren Forschungsergebnisse – so gut wie ausklammert. Diese zukunftsorientierten immateriellen Erfolgserfaktoren (das sog. Intellectual Capital) variieren erheblich von Unternehmen zu Unternehmen und müssen unternehmensindividuell unter repräsentativer Beteiligung der Belegschaft entwickelt werden, um überhaupt die in Zukunft aussichtsreichsten Geschäftsfelder, Innovationen und Projekte identifizieren und priorisieren zu können.

Gerade für kleine und mittlere Unternehmen (und ihre zukünftigen Kreditvergabegespräche) ist daher die workshopbasierte Methode »Wissensbilanz – Made in Germany« in meinen Augen das überlegenere, leistungsfähigere und auch pragmatischere Modell, denn im Unterschied (und natürlich auch in Ergänzung) zu Strobels Ansatz stellt diese Methode die graduellen und zeitlichen Wirkungszusammenhänge innerhalb der immateriellen Erfolgsfaktoren und ihre Wirkung auf den zukünftigen Geschäftserfolg dar.

Nicht umsonst heißt es nahezu einhellig aus Geschäftsleitungsmund: »Unsere Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital«. Eine Optimierung strategischer Unternehmensplanungsziele, die dieses »wichtigste Kapital« (bzw. Vermögen, da es immaterielle außerbilanzielle Aktiva sind) nicht angemessen berücksichtigt oder hierfür kein geeignetes mitarbeiterbeteiligungsorientiertes Steuerungs- und Controllinginstrument einsetzt, wie es seit 2004 mit der »Wissensbilanz – Made in Germany« zur Verfügung steht, verschenkt ein gerütteltes Maß an zukünftigem Markt- und Innovationserfolg.

Es bringt jedoch vergleichsweise wenig, ein »Optimum« zu suchen, wenn dieses »Optimum« innerhalb der unpassenden Zielstruktur und sogar des falschen Paradigmas liegt. Und das tatsächliche »Vermögen« eines Unternehmens ist nun einmal nicht das, was nach § 242 Abs. 1 HGB bilanziert werden kann und muss und darf, sondern das tatsächliche Vermögen eines Unternehmens ist das, was es – durch seine Mitarbeiter – am Markt vermag. Vermögen ist das, was jemand vermag. Der bilanzielle Vermögensbegriff weist damit etymologisch nicht auf Geld, sondern auf Können und Kompetenzen hin. Bankenseitige Ratinginstrumente erfassen dies jedoch nur unzureichend.

Um nun die Aussagekraft dieser Methode (eben auch aus Bankensicht!) sicherzustellen, empfiehlt es sich, ausschließlich mit (zwei) gut ausgebildeten Moderatoren und sorgfältig nach der originalen Moderationsmethode vorzugehen, anstatt sich von verkappten Unternehmensberatern mit der Aussage verwirren zu lassen, man könne diese Methode auch im Alleingang und mit nahezu beliebigen Verkürzungen durchführen: Da es im Bausteinmodell des Wissensmanagements bei der Wissensevaluation auch um die strategisch wichtigen Auswirkungen auf die zukünftigen (Wissens-)Ziele geht, lohnt es sich (eben auch aus Bankensicht!) nicht, hier an der falschen Stelle zu sparen.

Um aber wieder auf Strobels Dissertation zurückzukommen: Auch wenn insgesamt die anthropologische Wissens- und Lernperspektive in Strobels Lösungsansatz weitestgehend unberücksichtigt bleibt, so ist es ein Verdienst der vorgelegten Dissertation, einem der dringendsten und drängendsten Dilemmata von Klein- und Mittelunternehmen (KMU) nachgegangen zu sein.

Zu den wichtigen, gerade für KMU relevanten Forschungsvorhaben der nächsten Jahre dürfte es daher gehören, ergänzend den Stellenwert der »Wissensbilanz – Made in Germany« beispielsweise bei Bonitätsbewertungen/Ratingprozessen, Kreditvergabeentscheidungen, Unternehmenskäufen, Nachfolgeregelungen und auch bei Insolvenzverfahren herauszuarbeiten. Denn: Sieht man sich aktuelle mittelständische Veröffentlichungen zu den immer langwieriger werdenden Verhandlungen mit Banken über die Gewährung, Verlängerung oder Ausweitung von Kreditvolumina an, ebenso die Prognosezahlen bei KMU-Insolvenzen für die nächsten Jahre, drängt sich die hohe – und noch steigende – Relevanz der Problemskizze geradezu wie von selbst auf.

Allerdings sollte aus meiner Sicht die vorgelegte Problemskizze eben um die (soziologische und erwachsenenpädagogische) Perspektive kategoriell so erweitert werden, dass auch die systematisch-methodische, zukunftsorientierte, kontextabhängige, geschäftsprozessrelevante, partizipativ-beteiligungsbasierte Wissens- und Kompetenzenevaluation mit in die Lösung einbezogen wird.

Denn das »wichtigste Kapital« (bzw. Vermögen) – das sind tatsächlich die gut ausgebildeten, motivierten, leistungsfähigen und handlungskompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens. Das Vermögen eines Unternehmens besteht in dem, was ein Unternehmen personell zu tun vermag – auch aus der Sicht von Basel II und Basel III.

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Personale Dimension der Projektarbeit wird zunehmend wichtiger

(jm)
Mirjam Barnert behandelt in einer Neuerscheinung des Verlags Dr. Kovac ein zukunftsweisendes Thema: die steigende Bedeutung der personalen Dimension im Projektmanagement. Sie erörtert damit wichtige Ansatzpunkte für nicht-technologische, soziale Innovationen, die in den meisten, eher technisch-technologisch geprägten Innovationsdebatten nicht oder nur am Rande vorkommen.

Im Hinweistext des Verlages heißt es dazu: »In den vergangenen Jahren haben Organisationsformen mit Projekt­charakter zunehmend an Bedeutung gewonnen. So sind Projekte, mit denen schnell, flexibel und zielorientiert auf Veränderungen reagiert werden kann, unumgänglich, um dem ansteigenden Innovations- und Veränderungs­druck zu begegnen. Dabei sind Unternehmungen verstärkt auf die Projektmitglieder angewiesen. Denn eine erfolgreiche Bewältigung von Projekten gelingt nur, wenn die Mitarbeiter ihre Fähigkeiten und Erfahrungen zielführend in das Projekt einbringen.

So sind Projektmitglieder, die einen Beitrag leisten, der über die Erfüllung der erwarteten Arbeitsleistung hinausgeht, worunter beispielhaft die Unterstützung von Kollegen oder ein engagiertes Einbringen in Arbeits­prozesse zu verstehen ist, entscheidend für den Projekterfolg. Verhaltens­weisen hingegen, wie z.B. ein unkooperatives Verhalten oder eine geringe Einsatz­bereitschaft der Mitarbeiter, können nachhaltig Probleme bei der Projektabwicklung verursachen.

Das Werk zeigt Faktoren auf, die dazu führen, dass sich Mitarbeiter im Projekt besonders engagieren bzw. sich vice versa kontraproduktiv verhalten. Gleichzeitig wird dargelegt, wie sich ein engagiertes bzw. ein destruktives Verhalten auf den Individual- und Projekterfolg auswirken.

Aufbauend auf einer Studie, die in Kooperation mit der GPM Gesellschaft für Projektmanagement e.V. durchgeführt wurde, werden Handlungshinweise für die Praxis abgeleitet mit dem Ziel, Projekte erfolgreich zu bewältigen.«

Mirjam Barnert [2012]: Die personale Dimension der Projektarbeit. Commitment, abweichendes Verhalten und Erfolg im Fokus, 468 Seiten, Verlag Dr. Kovac, ISBN 978-3-8300-6280-6, 118,00 €.

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