Öfter mal Lineal statt Millionenpaket

schotter1Einer aufmerksamen Leserin verdanke ich den Hinweis auf die schöne DVD »Schotter wie Heu« [2002]. Hauptdarsteller dieses liebevollen Dokumentarfilms ist die Bevölkerung des Örtchens Gammesfeld im Landkreis Schwäbisch Hall; insbesondere Fritz Vogt, geschäftsführender Vorstand der kleinsten Bank Deutschlands. Den Filmemacherinnen Wiltrud Baier und Sigrun Köhler gelang mit diesem 100-minütigen Film eine regionale Miniatur, die dem ZDF damals einen Sendeplatz in der Reihe »Das kleine Fernsehspiel« wert war. Natürlich verhehlt der Film auch nicht die Schattenseiten der ländlichen Mikrowelt; ihre Konflikte, ihre ungeschriebenen Dorfregeln, ihre Abschottung gegenüber Außenstehenden. Deutsche Untertitel (!) auf der DVD erleichtern den Einstieg in den örtlichen Dialekt der Hohenlohe.

»Was ist schon ein Bankräuber gegen einen Bankdirektor«, zitiert Vogt aus Bertolt Brechts »Dreigroschenoper«. Bankbetrieblich organisierten Raub am Vermögen seiner Kunden lehnt er ab – und verweist darauf, dass Raiffeisen seine genossenschaftliche Tätigkeit unentgeltlich ausgeübt habe. Nicht wie jene Banker, die fünf Millionen nur dafür bekämen, dass sie ihren Stuhl räumen müssten, vergleicht Vogt hier schon im Jahr 2001 kontrastreich. Parallel zu den aktuellen Pleiten und milliardenschweren Fehlspekulationen mit anvertrautem Vermögen gesehen, gewinnen die – nur scheinbar dörflich-rückständigen – Ansichten von »Deutschlands einzigem antikapitalistischen Bankdirektor« an ungeheurer Relevanz und Orientierungskraft für die Gegenwart.

Euro-Umstellung zum 1. Januar 2002: Während in der deutschen Bankenlandschaft Projektteams formiert und millionenschwere Software-Updates (mal mehr, mal weniger erfolgreich) auf den Programmierweg gebracht werden, bleibt Fritz Vogt gelassen – und zieht mit Stift und Lineal einfach einen sauberen Strich ins Bilanzbuch. Und nicht etwa auf einem neuen Blatt. Für die Währungsumstellung fange er doch nicht extra eine neue Seite an, räsoniert er; seine Zentrale in Stuttgart kämpft hingegen mit Computerproblemen. Eine elektronische Briefwaage schafft Fritz Vogt ganz schnell wieder ab. Viel zu ungenau, findet er; das mechanische Modell seines Großvaters wiege Briefe um Längen genauer. So skurril es auch anmutet: Vogt organisiert sich und seine Arbeit mit dem Blick aufs Wesentliche, schneidert sich und seiner Bank – zum Wohl seiner Kunden – eher simple statt teure Lösungen auf den Leib. Sein Tiefenwissen orientiert sich am Maß des Menschen: Öfter mal Lineal – statt immer nur Millionenpaket.

Sein designierter Nachfolger Peter Breiter führt die Bank mit Vogts Unterstützung weiterhin in Personalunion – und hat seinen Laptop mitgebracht. Nunmehr mit PC-Unterstützung, wünsche ich Breiter ein ebenso maßgeschneidertes, individuelles »bankbetriebliches Wissensmanagement«, und weiterhin den Blick fürs Wesentliche zum Nutzen seiner Kunden.

Seine erste Mutprobe hat er kürzlich bei einem Überfall bereits bestanden – genau wie seinerzeit Fritz Vogt schlug er eigenhändig Bankräuber in die Flucht. »Wer zeitlebens Psychoterror von oben überstanden hat, der übersteht auch Psychoterror von unten«, so Vogt später. Ob Bankenaufsicht (»Psychoterror von oben«) oder Bankräuber – Peter Breiter wird beides zu spüren bekommen. Ich hoffe, dass der Stabwechsel gelingt.

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